Im ersten Halbjahr 2007 soll das Wachstum der Blogosphäre bei ca. 100 Mio. Blogs stagnieren meint der Netz-Analyst Daryl Plummer von Gartner. Das Blog-Format habe dann so ziemlich jeden potenziellen Adressaten erreicht und ihn entweder infiziert oder vergrault, so die Begründung.
Mit Matthias Armborst habe ich über die Gartner-Studie diskutiert. Uns sind spontan einige Thesen eingefallen, die gegen die Aussage sprechen und hier und in Matthias’ Blog veröffentlicht werden:
- Für die USA mag die Aussage, dass sich die meisten Onliner inzwischen mit dem Blog-Format beschäftigt haben, durchaus richtig sein. Für viele Blog-Entwicklungsländer stimmt sie aber wohl kaum: Wenn in Deutschland 45% der Bevölkerung weder von Blogs gehört noch welche gelesen haben, muss es beträchtliche Wachstumspotenziale geben.
- Offenbar hat der Autor der Gartner-Studie ein weitgehend auf die USA beschränktes Blickfeld: Wenn man über das Wachstum der Blogosphäre für beendet erklärt, vergisst man etwa Indien oder China mit riesigen, digital unterentwickelten Regionen.
- Gerade in Ländern, in denen die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, bieten sich anonyme Blogs als Sprachrohr an: In Russland oder Iran dürfte die Bedeutung von Blogs für zivilgesellschaftliche Bewegungen weiter wachsen.
- Wie die Analysen von Technorati zeigen, gab es immer wieder Auslöser für ein punktuelles, extrem starkes Wachstum der Blogosphäre: Beispiele sind der 11. September, der Irak-Krieg oder der Tsunami. Es gibt keinen Grund für die Annahme, dass es Wachstumsimpulse wie diese nicht auch in Zukunft geben wird.
- Die Potenziale des enorm flexiblen Blog-Formats ist noch lange nicht ausgereizt: Wie man bei der Entwicklung von Pod- und Videocasting gesehen hat, hält es eine Vielzahl von Möglichkeiten offen, die zuvor noch gar nicht absehbar waren.
- Es gibt aus unserer Sicht keinen triftigen Grund für die Annahme, dass die Betreiber von nicht mehr genutzten Blogs endgültig für die Blogosphäre verloren sind. Viele dürften „Schläfer“ sein, die ein grundsätzliches Interesse daran haben, an der Netzkommunikation teilzunehmen. Sie können jederzeit (wieder) zu aktiven Bloggern werden.
- Blogs mögen momentan gehypet werden, was in dieser Form bald enden kann. Solange jedoch kein neues und ebenso universell einsetzbares Format für Jedermann in Sicht ist, sind Blogs weiterhin attraktiv.
- Unternehmen, Organisationen und Parteien beginnen erst allmählich, sich mit Blogs zu beschäftigen und mit dem Format zu experimentieren. Mittelfristig ist damit zu rechen, dass Blogs zu einem wichtigeren Bestandteil der Unternehmenskommunikation und Öffentlichkeitsarbeit werden.
- Auch Journalisten und andere Medienprofis beginnen erst mit großer Verzögerung, Blogs als Experimentier- und Profilierungs-Format und vor allem: als alternative Darstellungsform – zu entdecken. Im Medienbereich steht die Entwicklung also erst noch am Anfang.
- Für die „Digital Natives“, die quasi im Web 2.0 aufgewachsen sind, sind Blogs ein selbstverständliches Kommunikations- und Info-Instrument. Auch die demografische Entwicklung spricht also für ein Wachstum der Blogosphäre.
Ansonsten halten Matthias und ich es mit dem Autor des verlinkten AP-Textes: „Of course, as the old saying goes, predictions are hard, especially about the future.“
Update: Auch Steve Rubel und Robert Basic machen sich Gedanken zum Thema Wachstum der Blogosphäre.